Zum merkwürdigen Verhalten geschlechtsreifer Großstadtmenschen 2008

Das Grinsen danach                                   

Immer mehr Menschen machen Yoga. Beobachtungen einer angehenden Yogalehrerin

 

„Lasst den Atem fließen und in den Atempausen den Körper die Stille reflektieren“, sagt die Lehrerin. Timon grunzt zufrieden im Hund, Gunnar kämpft im Krieger, Sybille freut sich über die Pause im Kind, Markus trotzt statisch stehend der Schwerkraft und Kalina tänzelt durch den Sonnengruß. Timon, Gunnar, Sybille, Markus und Kalina machen Yoga auf einem Dach in Prenzlauer Berg. 

 

Das Dach könnte ebenso gut eine Wiese, ein billig angemietetes Atelier oder ein schickes Studio sein. Der Prenzlauer Berg Hamburg Altona, London Islington oder Singapur Zentrum. Die Lehrerin bin ich. Ich könnte genauso gut Französin, Japanerin oder Haitianerin sein; Angelina, Solvej oder Fatima heißen; braune Locken, Glatze oder Kimono tragen. Denn Yoga gibt ist längst Mainstream geworden.

Der Manager macht es. Zwischen zwei Meetings, mal in Shanghai, Berlin oder Johannesburg. Der 70-Jährige macht es. Morgens vor der ersten Schrippe. Der Späthippie macht es. Zum Wiederrunterkommen. Die Hausfrauen machen es jetzt auch. Und die Schauspieler sowieso. 

 

Es ist längst nichts Ungewöhnliches mehr, dass wir den Hauptteil unserer Zeit in Überschallgeschwindigkeit durch die Welt jetten, parallel durch Länder, Themen und Begegnungen rasen und uns in unserer verbleibenden Freizeit an abgelegene Orte zurückziehen, auf den Kopf stellen, blitzentschlacken oder indische Götter anbeten, um tags darauf wieder in den fünften Gang hochzuschalten und uns in den Taumel entlokalisierter, entpersonalisierter und entmystifizierter Welten zu schmeißen.

 

Es ist ein milder Sommerabend, die viereckigen Steinplatten des Terrassenbodens haben die Hitze der Augustsonne gespeichert und ihre Wärme strahlt bis in unsere Gesichter. In der Ferne grau-glänzend die Kugel des Fernsehturms; Autos, Menschen und Maschinen scheinen weit weg, von irgendwo im Hof erklingt ein Radio. Direkt über uns ein großer, blauer Himmel und ein paar Schwalben, die interessiert ein paar Runden über unseren Köpfen kreisen. Ja, ja, das ist Yoga, bedeute ich ihnen mit einem lakonischen Gruß nach oben und konzentriere mich wieder darauf, die Übung mit rechts anzusagen, aber mit links - der Lehrer muss spiegeln- vorzumachen. 

 

Ich überlege,  ob ich an dieser Stelle von der Auflösung des Ego sprechen soll, erkläre genau die Position der Hände, Arme, Schultern, Knie, Beine…Die Basis muss stimmen. Ob ich was vom Shiva-Shakti Prinzip einfließen lasse? Das könnte einigen der Teilnehmer zu esoterisch erscheinen. So bemühe mich in meinen Worten um eine Verbindung zwischen den warmen Steinen der Erde und dem offenen Blau des Himmels. Wir machen die Krieger I Position. Kalina legt den Rücken ins Hohlkreuz, wie andere ihr Geld in den Safe. Sybille strauchelt und rudert wild mit den Armen, und Timon lässt, oh nein! das Knie ausscheren, als mache er Plié! „Von den Füßen aufwärts korrigieren“, erinnere ich mich an die Worte meiner Ausbildungsleiterin, drücke hier mein Knie in die Seite, ziehe da ein Bein zurecht und streiche eine Schulter glatt. Schultern und Nacken sind in der menschlichen Anatomie so etwas, wie Ikeatüten beim Großeinkauf: wir packen alles rein. „Versucht, nicht im Nacken festzuhalten. Wir versuchen immer mit dem Nacken zu kontrollieren.“ Das gefällt ihnen. Kontrolle: kennt jeder- will keiner, zumindest nicht im Nacken.

Markus sowieso nicht. Er ist Unternehmensberater, immer im Flow und macht schon lange Yoga. Er nimmt nachher den Flieger zurück nach Südafrika, von wo er gestern erst mal eben 10 Stunden nach Berlin geflogen ist und wo er zur Zeit ein Projekt leitet. Timon kommt gerade von einem spontanen Auftritt auf einem Musikfestival, er malt außerdem bunte Gemälde, die hinter der Glastür im Atelier hängen und macht neuerdings auch Filme. „Ich fühl mich wie auf Ekstacy. Nur viel besser,“ sagt er nach der Yogastunde. Zwischendrin lehnt er sich immer mal wieder mit einem Fuß oder mit dem Rücken an die mit grünen Bäumen bemalte Terrassenwand. „Timon schummelt“, schimpfe ich. Alle lachen ein bisschen. Das ist gut. Stabilität und Leichtigkeit, bloß nicht verkrampfen. Nur Gunnar sieht sehr ernst aus. Er ist 70, Brite und Tempelritter bei den Militi Templi Salomon, und gerade auf einer Reise durch Deutschland um seine deutschen Vorfahren aufzuspüren. Seine 17 Jahre jüngere Freundin Sybille steht neben ihm und schaut scheinbar unbemerkt an sich herunter, um zu kontrollieren, ob sie eine gute Figur macht. Macht sie.

 

Ich erzähle ihnen, dass es im Yoga um das Zur-Ruhe-Kommen des Geistes geht, wovon der Schüler in der Übungspraxis Einblicke bekommt und darum, unsere Wahrnehmung frei zu machen von den Filtern unserer Ich-Bezogenheit. Ich verheddere mich irgendwo im dritten Nebensatz und stelle wieder fest, wie schwierig es ist, prägnant und klar verständlich etwas vom Wesen des Yogas in die physische Yogapraxis einfließen zu lassen. Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich nicht erklärt habe, dass es bei der Ich-Bezogenheit eben darum geht, dass wir die Gegenwart durch unsere persönlichen Erfahrungen und Bewertungen der Vergangenheit gefiltert wahrnehmen. Wir gleiten durch die Bewegungsabfolge des Sonnengrußes. Ich bemühe mich, meine Schüler nicht zu überfordern, erkläre jede Position genau, bewege mich langsam, gehe mal zum einen, mal zum anderen. Bei Kalina nicht zu hart anfassen, erinnere ich mich. Und bloß niemanden berühren in der Haltung des Baumes, da fallen sie sonst alle um wie Dominosteine. „Verliert nicht euren Meeresrauschenatem,“ erinnere ich meine Schüler. Sie sehen ein bisschen gequält aus. Die Bauchmuskeln zittern. „Atmet in den untern Rücken. Dahin, wo der Atem normalerweise nicht hinkommt. Der Atem ist Euer Guru.“ In Savasana, der Totenstellung am Ende, gebe ich meinen Schülern eine kleine Nackenmassage mit Lavendelöl, decke sie mit improvisierten Handtuchdecken zu: den 70 jährigen Tempelritter, seine Freundin, den Unternehmensberater, den Späthippie und die zarte Blonde.

 

Am Himmel müssen die ersten Sterne zu sehen gewesen sein, aber ich war zu konzentriert, um es zu bemerken. Auch die ausgetrocknete Kehle, die Mückenstiche und die eigene Verspannung fielen mir erst viel später auf. Aber eines war nicht zu übersehen: Am Ende der Stunde sitzen fünf sehr entspannt wirkende Gestalten im Schneidersitz, die Hände andächtig vor dem Herzen zusammengelegt und auf ihren Gesichtern? 

Ein breites, seliges Grinsen.

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